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2007 - 2012
Der unsichtbare Garten

Werte LeserIn, wenn ich Sie fragen würde, ob durch die mentale Verarbeitung Ihrer Sinneseindrücke und Wahrnehmungen eine realitätsnahe oder eine phantasienahe Repräsentation der Welt entsteht?

Würden Sie dann mit verbundenen Augen durch einen unsichtbaren Garten gehen?

„Visualisieren bezeichnet das sichtbar Machen des Unsichtbaren.“

„Eine der grundlegenden Interaktionen in virtuellen Umgebungen ist die Navigation: `Mit der Kamera in der Hand´, `mit Steuerknüppel´, `via Flugzeugkontrolle´, `mit Datenhandschuh´. Um einem Anwender in einer immersiven virtuellen Umgebung stets die korrekte Ansicht der virtuellen Welt präsentieren zu können, müssen Position und Blickrichtung in Bezug auf die virtuelle Umgebung bekannt sein. Technische Systeme müssen diese `Tracking´ `Verfolger´-Aufgabe leisten.
Tracking-Systeme werden eingesetzt, um anhand von Kopf-, Hand- oder Körperbewegungen die Beobachterposition in der Bild- (welt)generierung entsprechend zu berücksichtigen, d. h. die virtuellen Objekte müssen zur aktuellen Blickrichtung des menschlichen Beobachters synchron sein.“


Aus einer Betriebsanleitung für virtuelle Welten einer Forschungseinrichtung für Informationstechnologie



Versuchen wir Schritt für Schritt nachzuvollziehen, wie wir uns oben stehende Beschreibung vorzustellen haben und wir werden daran erinnert, welche komplexen und oft nicht selbstverständlichen Prozesse der Wahrnehmung, der Sinnes- und Wissensverarbeitung wir durchlaufen, um unser „Weltbild“ zu erlangen bzw. zu aktualisieren.

Ein Aspekt des heutigen Forschungs-, Industrie- und auch Unterhaltungsalltages ist es, dass uns mit hoch entwickelter Informationstechnologie durch virtuelle 3D-Welten neue Zugänge und Erkenntnisse aber auch „neue“ Phantasien über die Wirklichkeit vermittelt werden.
Das Einleitungsmotto weist daraufhin, dass Informationssysteme für virtuelle Welten derart gerüstet werden müssen, dass die Perspektive des beobachtenden Menschen mit der Perspektive der (virtuellen) Welt immer – auch wenn der Mensch sich bewegt – in Deckung bleiben muss. Ansonsten würde die Illusion in sich zusammenfallen und die virtuelle Welt sich als hohle Bildkulisse entpuppen.
In diesem Sinne gehört zum heutigen Wissen das Verständnis dafür, wie unsere Sinnesorgane Eindrücke verarbeiten und welchen Wahrnehmungsresultaten wir dabei vertrauen können. Wir wissen, dass unsere Welt und unser Leben entsprechend der Zuverlässigkeit unserer Wahrnehmungsfähigkeit konstruiert, organisiert und abgesichert wird.

Aber vielleicht beschleicht uns bei diesen Feststellungen eine gewisse Unsicherheit.



Der unsichtbare Garten als Tast-, Riech- und Hörinvasion auf der Museumsanlage Admont ist nicht nur für blinde Menschen konzipiert worden, sondern er ist vielmehr ein Garten, in welchem blinde Menschen sehenden Menschen ungewohnte Sinneserfahrungen vermitteln können und in welchem sehende Menschen mit blinden Menschen in einen Erfahrungsaustausch treten können. Zu diesem Zweck verbindet sich jeder BesucherIn vor Betreten des Gartens die Augen und nimmt die Expertenführung einer blinden FührerIn durch den Garten in Anspruch.
Der Garten ist dem Modell von Interaktion und Immersion in einer virtuellen Welt nachkonzipiert und erschließt sich folglich erst durch die gezielte Navigation.

Der Garten erstreckt sich über eine Fläche von nur 18 x 12 m. Nach außen hin wird er von einer dickichtgleichen Einfassung aus Fichten blickdicht und hermetisch abgeschlossen. In seinem Inneren erschließt sich den nichtvisuellen Sinnen – entlang eines schmalen gewundenen Pfades – eine spezielle Auswahl autochthoner Jungbäume aus der Region. Sie wurden nach haptischen, olfaktorischen und akustischen Kriterien ausgewählt und gepflanzt (siehe Liste der Gehölze). Der Eingang in den Garten führt nur einer Stelle über eine schmale Schneise zwischen den Fichtenzweigen ins Innere. Der Pfad ist in einzelnen Abschnitten mit verschiedenen Materialien befüllt, welche die Geräusche der Schritte dämmen und die Trittfestigkeit manchmal untergraben, wie z.B. Flusssand, Rindenmulch oder Gummigranulat.


Sinneswahrnehmung und Erfahrungsaustausch zwischen blinden und sehenden Menschen

Die BeobachterInnen sollten auf dem schmalen Korridor durch die von allen Seiten in den Weg hängenden Ästchen und Zweige streifen. Das Vorwärtstasten geht nur ganz langsam vor sich, das Berühren der Äste gibt den einzigen Halt und ist gleichzeitig die Herausforderung bei der Durchquerung der (Pflanzen-) Welt. Unsere Hände (wie auch unser Gehör und unser Geruchssinn) werden wie zum „Datenhandschuh“, zum Navigator durch diese Immersion der natürlichen und hier doch ungewöhnlichen Wahrnehmungswelt. Unsere blinden MuseumsgartenführerInnen sind in der Navigation durch dieses widerstrebende Dickicht geübter, sie werden uns mit ihren Erfahrungen helfen, diese auch für sie ungewohnte „Kunst-Welt“ zu erschließen.
Ein Aspekt des Kunstwerks liegt im Erfahrungsaustausch zwischen den blinden MuseumsgartenführerInnen und den jetzt nicht sehenden GartenbesucherInnen, einerseits zur Erweckung der Aufmerksamkeit für spezifisch plastische, taktile und olfaktorische Qualitäten des Museumsgartens. Andererseits sollte dieser Erfahrungsaustausch die Vorstellungskraft und das Bewusstsein der sehenden Menschen dahingehend erweitern, dass sie berücksichtigen und verstehen können, dass bei Sehenden auch jene Sinneseindrücke, welche sie ähnlich wie blinde Menschen ohne visuelle Eindrücke gewinnen, zu anderen mentalen Bildern gewandelt werden. Bei blinden Menschen lösen die Eindrücke im Garten keine „Bilder“ aus. Idealerweise können die MuseumsbesucherInnen aus der Wortwahl der blinden Menschen etwas über die verschiedene innere Repräsentanz der Welt und nicht nur der (absenten) Visuellen im erfahren. Eingedenk dessen sehen sie, dass eine an sich visuell erfahrbare (Pflanzen-) Welt auch ganz ohne Bilder aufzufassen möglich ist.

Das heißt der phänomenale Gehalt dieser Körpererlebnisse und dieser Geräuschs- und Geruchseindrücke ist eine Frage des Gedächtnisses jedesr Einzelnen. Wie die Sinneseindrücke verarbeitet werden, ob separierend oder synthetisierend und wie sie erinnert werden, zu welchen inneren Bildern sie führen und ob sie automatisch wieder zu einem Garten oder zu etwas ganz anderem visualisiert oder nicht visualisiert werden, wird je nach Bewusstsein und Aufmerksamkeit individuell differieren. Aber grundsätzlich sollte die Vorstellungskraft dazu animiert werden, einmal diverse innere Welten als Repräsentation einer gemeinsam erfahrenen „Kunst-Welt“ zu kreieren – gemäß dem Eingangsmotto „Visualisieren heißt sichtbar Machen des Unsichtbaren“.

Oder um es mit Shakespeare´s “A Midsummer Night´s Dream” zu sagen: „Love looks not with the eyes, but with the mind”.
JD, 2006


Veranstaltung, Ort: Aussenanlagen Museum für Gegenwartskunst Admont

Link Film bei CAST YOUR ART
Werkegruppe Sinnesgarten - Entwurf